Die Mitteldeutsche Zeitung hat Neuigkeiten aus dem Hochsicherheitsgefängnis in Burg. Nein, nicht vom Attentäter selbst, der sitzt inzwischen in einem Gefängnis in Bayern. Die Geschichte hat es auch nicht auf die Titelseite der Wochenendausgabe vom 21./22. Jänner 2023 gebracht. Dort schlagzeilte man »Pandemie greift die Seele an«. Ich gestehe, die Leserbriefe der militanten Atheisten und Materialisten zu diesem Text möchte ich gern mal lesen!
»Stille Post im Häftlingstrakt«, so der Titel des Zeitungstextes, der zu diesem Geomatico-Strang gehört, schaffte es nur auf Seite 2 (und auf Seite 8 in Gestalt eines Kommentars dazu). Der Untertitel lautet: »Nach der Geiselnahme des Halle-Attentäters werfen Insassen der Gefängnisleitung vor, viele Warnungen ignoriert zu haben. Das Ministerium schweigt.«
Ich gestehe erneut: Von Schweigen habe ich eine andere Vorstellung als der Journalist. Er schreibt:
»Die MZ hat das Justizministerium in Magdeburg um eine Stellungnahme zu den Vorwürfen gebeten. Das Ministerium äußerte sich aber nicht und verwies nur darauf, dass die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft Naumburg laufen. Deswegen könnten keine Auskünfte gegeben werden. Auch die Generalstaatsanwaltschaft äußerte sich nicht, die Ermittlungen sollten nicht gefährdet werden. Allerdings zeige die Erfahrung, ›dass Äußerungen von Mithäftlingen über das Verhalten anderer Häftlinge nicht immer der Wahrheit entsprechen müssen‹, sagte Oberstaatsanwalt Klaus Tewes. Und: ›Dass sich Strafgefangene zuweilen aggressiv verhalten oder in ihrer Zelle basteln, ist nicht strafbewehrt.‹«
Zurück zum Flurfunk »in den Zellen des Hochsicherheitsgefängnisses in Burg«. Der Journalist, Jan Schumann, deutet an, woher er vom Flurfunk Kenntnis hat. Natürlich nicht aus erster Hand, denn er müßte, um selbst dort zu logieren zu dürfen, auch einer der verurteilten gefährlichen Kriminellen des Landes sein. Der Journalist schreibt dazu: »Der MZ liegt eine Stellungnahme mehrerer Häftlinge vor, die in ihren Behauptungen schwere Vorwürfe gegen das Gefängnispersonal und die Leitung formulieren.« Federführend hinsichtlich der Stellungnahme war Mazen Ajo, der wegen Drogenhandels und der Stürmung der Polizeiwache in Naumburg (Burgenlandkreis) in Burg sitzt. Im Text heißt es, die Stellungnahme wurde von Ajos Anwalt an die MZ übermittelt. Die Frage, wer hier wem die Feder geführt hat, kommt mir als Leser in den Sinn. Ich kann sie aber nicht beantworten...
Jan Schumann zufolge standen im vergangenen Dezember inside Burg zwei Fragen im Mittelpunkt. »Wie konnte [...] Stephan B. zwei Gefängnismitarbeiter als Geiseln nehmen? Und: War der gewaltsame Ausbruchsversuch des Halle-Attentäters erwartbar?« Um es vorweg zu nehmen, eine plausible Antwort auf die erste Frage suche ich im MZ-Artikel vergebens. Was erfährt der Leser in Bezug auf Frage zwei?
»Stephan B. soll schon vor seinem Fluchtversuch eine Gewalttat angedeutet haben. Zudem habe er tage- und nächtelang an seinem primitiven Waffennachbau gebastelt, mit dem er letztlich die Gefängnismitarbeiter bedrohte.« Das sagen die Mithäftlinge - »auch gegenüber Polizisten des Landeskriminalamts«.
Die MZ zitiert rsp. beruft sich auf Mazen Ajo: »Zahlreiche Gefangene hätten B.s Bastelarbeiten an der Waffe mitbekommen.
So habe B. ›mehrmals in der Nacht bis zum frühen Morgen in der Zelle gehämmert und geschliffen‹ [...].
Zwar hätten Gefangene dies auch gemeldet, doch das Justizpersonal habe es bei einer kurzen, erfolglosen Zellenkontrolle belassen. ›Beim zweiten Mal hatte keiner mehr darauf reagiert‹, heißt es in dem Schreiben« von Ajos Anwalt. Weiter im MZ-Text:
»Zudem habe B. vielsagende Andeutungen gemacht, die Mithäftlinge schon vor der Geiselnahme alarmiert hätten: Der inhaftierte Neonazi habe eines Tages betont, ›seine Mission‹ sei ›noch nicht vorbei‹. An anderer Stelle soll er gesagt haben: ›…Mit Gewalt komme ich hier raus.‹ Justizintern gilt es als plausibel, dass es solche Andeutungen tatsächlich gab: Denn auch gegenüber Vollzugsbeamten soll B. ähnliche unterschwellige Drohungen ausgesprochen haben. Nach MZ-Recherchen galt er wegen genau solcher Äußerungen als akute Gefahr in Haft.
Sein Mithäftling Ajo schildert nun zudem, dass B. ausländische Mitgefangene beschimpft und bedroht haben soll, unter anderem mit Schlägen an eine Zellentür.
Zudem wundern sich Ajo und andere Gefangene über die vielfältigen Gegenstände, über die B. in seiner Zelle verfügt haben soll. ›Er hatte etliche Feuerzeuge, woher auch immer‹, heißt es in dem Schreiben an die MZ. Das wäre eine relevante Information, denn B. soll ein Feuerzeug in dem Waffenapparat verbaut haben, den er bei der Geiselnahme nutzte. Laut Mitgefangenen soll der Attentäter zudem auch Chemiebücher in seiner Zelle gehabt haben.
Wie glaubwürdig all diese Aussagen sind, ist unklar. Justizintern heißt es: Überraschend ist es nicht, dass sich nach der Geiselnahme jetzt zahlreiche Häftlinge in Burg zu Wort melden. Viele Gefangene hätten Hass auf das Personal, wollten womöglich mit Anschuldigungen offene Rechnungen begleichen.« (Ich habe sechs mal »soll« in diesem Zitat aus der MZ gezählt. Das Soll in Sachen Gerüchteküche ist übererfüllt.)
Das Landeskriminalamt ermittelt und das ist für die Häftlinge eine durchaus willkommene Abwechslung im ansonsten tristen Haftalltag. Der Journalist weiß von 30 Zeugen, die vernommen wurden - Justizbeamte und Mithäftlinge. Er schreibt: »Tatsächlich befasst sich Sachsen-Anhalts Justiz jetzt mit vielen Aussagen und Vorwürfen von B.s Mitgefangenen. Denn letztlich kann jeder noch so kleine Hinweis für die Ermittlungen der Generalstaatsanwaltschaft wichtig sein. Etwa für die Frage, wie Stephan B. vom Personal unbemerkt seine Waffe konstruieren konnte.«
Nun noch ein paar Worte von mir zum Kommentar auf Seite 8. Er wurde ebenfalls von Jan Schuhmann verfaßt. Der »rät, die Häftlingsberichte zu Stephan B. nicht zu ignorieren«, denn »es geht darum, dass solche Zwischenfälle in Zukunft bestmöglich ausgeschlossen werden können - und dass das Personal geschützt wird.« Er schreibt von seinen Zweifeln an den Sicherheitsvorkehrungen in der Anstalt und stellt die Frage, ob in Burg Fehler gemacht wurden? Die dort Inhaftierten würden das behaupten. Zugleich weiß er aber auch, dort sitzen »Lügner, Lügner mit Langeweile«, die sich Geschichten einfallen lassen (könnten), die der Polizei unter Umständen tagelange erfolglose Ermittlungen bescheren könnten. Mir deucht, mit Geschichten aus dem Wiener Wald sollten Journalisten und Polizisten eigentlich umgehen können. Sie sollten auch wissen, so lange keine gesicherten Erkenntnisse vorliegen, kann man entweder gelangweilt zeilenschindend den Konjunktiv benutzen oder sich in der höchsten Kunst des Sprechens rsp. Schreibens üben. Sie besteht darin, zu wissen, wann und wie man schweigt.
Für Zahlungswillige ist der Text hier zu finden:
https://www.mz.de/mitteldeutschland/sach...duced=true