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»Wie in der billigsten Netflix-Serie«
Bürgerliche Medien geifern gegen DDR, die heute vor 70 Jahren gegründet wurde. Linke muss sich mit Geschichte beschäftigen. Ein Gespräch mit Ringo Ehlert
Interview: Jan Greve
Heute vor 70 Jahren wurde die DDR gegründet. Was macht die Erinnerung an dieses Datum für Sie relevant?
Zunächst muss man feststellen, dass die Gründung der DDR alles andere als ein historischer Sieg war. Vielmehr war sie die Konsequenz aus dem Versäumnis, das Potsdamer Abkommen (von den Siegermächten ausgehandelte Regelung zur Nachkriegsordnung Deutschlands, jW) in ganz Deutschland umzusetzen. Mit der DDR-Gründung konnte die Regelung wenigstens in einem Teil des Landes Realität werden. Für alle, die damals dafür eintraten, dass es nie wieder einen deutschen Faschismus und einen Krieg von deutschem Boden aus geben darf, war das wiederum ein großer Erfolg. Das war aus meiner Sicht 1949 das Besondere: Hier wurde erstmals ein neuer Weg in der deutschen Geschichte beschritten, der sich vom vorherigen, der von Weltkrieg zu Weltkrieg führte, fundamental unterschied. Diese Perspektive ist insofern von Bedeutung, als wir heute in einem Land leben, dass wieder Kriege führt.
2019 jährt sich auch der Mauerfall zum dreißigsten Mal. Seit geraumer Zeit läuft das mediale Dauerfeuer diesbezüglich, Tenor: Freiheit auf der einen, »Unrechtsstaat« auf der anderen Seite. Lässt sich auf solche historischen Daten überhaupt nüchtern zurückblicken?
Sicherlich, die Schlagseite der Berichterstattung ist gravierend. 99,9 Prozent der zur DDR veröffentlichten Meinung sind negativ. Allerdings wissen wir auch, dass das mitnichten repräsentativ für das Denken der Bevölkerung ist. Vor kurzem hatten wir eine achttägige Ausstellung über die Geschichte der DDR auf dem Berliner Alexanderplatz. In den Gesprächen mit den Menschen dort fiel auf, dass die Daten – ob 7. Oktober, 3. Oktober oder 9. November – gar nicht so wichtig sind. Auffällig war zudem, wie differenziert die Meinungen zur DDR sind, die uns begegneten, und wie interessiert ein Großteil der Menschen ist.
Wie sehr ist die Debatte vom Schwarz-Weiß-Denken geprägt?
Ich kenne niemanden, der ernsthaft behauptet, es sei alles gut oder alles schlecht gewesen – abgesehen von innenpolitisch aufgeladenen Debatten, in der einem zum Beispiel der nach Berlin gekommene Bayer die Welt erklärt. Die meisten machen es sich aber nicht leicht. Die Desinformationsschlacht, die die andere Seite führt, wird dagegen zunehmend durchsichtiger: Wer in der DDR gegen das System war, ist immer der Held. Alle anderen sind Mitläufer, wenn nicht Täter. Das ist extrem einfach gestrickt, wie in der billigsten Netflix-Serie.
Ihr Verein »Unentdecktes Land« thematisiert die Perspektive der Generation, die die DDR höchstens noch aus Kindheitstagen kennt. Was zeichnet diesen Blickwinkel aus?
Wenn das eigene Leben aus mehr bestehen soll als aus Arbeiten, Essen und Schlafen und man außerdem mit den politischen Verhältnissen in der Welt nicht einverstanden ist, dann ist der Blick über den Tellerrand unglaublich interessant. Nicht nur die in der DDR errungenen Siege sind lehrreich, sondern auch die Niederlagen und Unzulänglichkeiten. Eine Linke, die sich nicht mehr für dieses große Wissen und die vielen Erfahrungen interessiert, ist zum Scheitern verurteilt.
Meine Generation bekam vor allem mit, wie sich in den Familien im Laufe der Zeit die Themen geändert haben. Früher war es die Datsche, der Urlaub oder das Porzellan, was man nicht bekommen hat – letztlich Lappalien. Nach 1990 war es dann die Mieterhöhung, die Stromrechnung oder der wegbrechende Arbeitsplatz, die das Leben der Menschen geprägt haben. Diese Entwertung im Sekundentakt, die war zu spüren, egal wie alt man war.
Seit Ihrer ersten Aktion auf dem Alexanderplatz 2014 hat Ihr Verein an Zulauf gewonnen. Wen sprechen Sie mit Ihrem Ansatz an?
Wir erschließen uns unser Bild der DDR anhand detaillierter Quellenarbeit. Damit haben wir für viele, gerade junge Menschen eine interessante Alternative geboten zu den bisherigen Identitätsmöglichkeiten: entweder braver Bundesbürger oder AfD-wählender Ossi. Das ist eine zentrale Aufgabe der politischen Linken: über die DDR und ihre linke, antifaschistische Geschichte zu sprechen, mit allen Höhen und Tiefen.
Ringo Ehlert (Jahrgang 1978) ist Vorstandsmitglied des Vereins »Unentdecktes Land«
https://www.jungewelt.de/artikel/364206....serie.html
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Und ein online-Leserbrief zu obigem Interview:
Als »Wessi« erdreiste ich mich nicht, ein nachträgliches Urteil über die DDR abzugeben, wohl aber meine seit Jahrzehnten – hauptsächlich durch das kapitalistische System im Westen – geprägten, aufoktroyierten Ansichten. Wenn es damals hierzulande (Westen) um die DDR ging, ertönte stets der gleichlautende Kanon: Erschießung von Grenzflüchtlingen an der deutsch-deutschen Grenze, Inhaftierungen bei verbotener Meinungsäußerung, Kommunistenstaat (hierzu wusste ich damals schon nicht, was daran schlecht sein sollte, außer vielleicht, dass man, tat man schon als Kind was besonders »Schlimmes«, sogar von engsten Verwandten als Kommunist »beschimpft« wurde – heute würde ich dass als Kompliment werten), Schlangestehen vor spärlich bestückten Lebensmittelgeschäften (Bananenentzug), 18jährige Wartezeit auf einen Sperrholz-Porsche (Trabi) usw.
Jedoch wurde uns nichts verkündet von einem gegenseitig hilfsbereiten, stolzen, fleißigen, erfindungsreichen, familienfreundlichen und kriegsfeindlichen, empathischen Menschenschlag, den ich kurz nach der »Wende« in der Nähe von Quedlinburg kennenlernen durfte.
Damals fuhr ich einen 40-Tonnen-Gliederzug. In einer kleineren Ortschaft (der Name ist mir leider entfallen), nachts gegen 23.30 Uhr, suchte ich eine Baustelle, auf der ich morgens um 6.30 Uhr entladen sollte. Womöglich hatte ich ein Hinweisschild übersehen, das mich auf eine Engstelle im Straßenverlauf hinweisen sollte. Wie auch immer, letztlich stand ich vor besagter Nichtdurchfahrtsmöglichkeit. Die Anwohner dieser engen Straße (leichter vorstellbar als Gasse) verschafften mir eine völlig neue Erfahrung in meiner damaligen, circa zehnjährigen Berufspraxis. Anstatt gaffend und wutentbrannt hinter beleuchteten Fenstern zu schimpfen, fluchend über solch Inkompetenz eines Lkw-Fahrers, und letztlich die Polizei zu verständigen wegen nächtlicher Ruhestörung, kamen diese lieben Menschen aus ihren Häusern, zum Teil im Morgenmantel und mit Taschenlampen ausgestattet, um mir behilflich zu sein, meinen Hängerzug im Dunkeln wieder auf eine breitere Fahrbahn zu steuern. So viele und, wohlbemerkt, kompetente Einweiser hatte ich zuvor und auch danach nicht mehr. Jemand aus dieser unbeschreiblich netten Gruppe beschämte gar den Westen noch zusätzlich mit dem Angebot an mich, bei ihm zu übernachten. Dass ich dies aber aus Scham ablehnte, hinderte diesen lieben Menschen nicht daran, mir morgens um kurz nach 5.00 Uhr eine übergroße Tasse heißen Kaffee nebst einer selbstaufgezeichneten Wegskizze zu bringen, die mich von meinem nächtlichen Standplatz sicher und punktgenau zur Baustelle leitete. Sogar die Kaffeetasse überließ er mir gewissermaßen als Andenken. Den ideellen Wert, den diese Tasse noch heute für mich hat, konnte er damals wohl nicht ermessen.
Daher mein persönliches Fazit: Strikt und entschlossen weigere ich mich selbst nach mehr als 25 Jahren nach diesem Erlebnis, diesen lieben Menschen im Osten unseres Landes – und ich bin felsenfest davon überzeugt, dass der allergrößte Teil derer das waren und sind – Nazitum oder rechtsextremistischen Gedankengut anhaften zu lassen, auch dann nicht, wenn sie einer rechtsextremen Partei einen überdurchschnittlich hohen Stimmanteil verschaffen. Weiter bin ich davon überzeugt, dass der Großteil der AfD-Wähler im Osten dieser Partei nicht aus Überzeugung ihre Stimme gegeben hat, sondern deshalb, weil doch ganz klar ersichtlich scheint, wen die »Etablierten« am meisten fürchten, und damit schließe ich Die Linke nicht aus, obwohl ich deren Mitglied bin. Wer restriktive Polizeigesetze mitträgt, sich weigert, die EU als das zu bezeichnen, was sie ist, nämlich undemokratisch, unsozial, militaristisch, kapitalhörig, imperialistisch und postengeifernd, schleimig lechzend – die ureigensten Grundfeste beiseite schiebend – nach Regierungsbeteiligung hechelt, Sozialwohnungen im großen Stil an Investoren verscherbelt, um sie dann später um das Fünffache zurückzukaufen, braucht sich nicht zu wundern, als die helfende und stützende Hand für die lohnabhängig Ausgebeuteten gegen den menschenverachtenden Kapitalismus nicht mehr zu taugen.
Hans Reinhardt, Glashütten
Veröffentlicht in der jungen Welt am 09.10.2019.
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06.11.2019, 09:02
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 06.11.2019, 09:33 von Huxley.)
4. November 1989: Die gescheiterte Revolution
05. November 2019 Peter Nowak
Demonstranten auf dem Alexanderplatz, Berlin, während der Abschlusskundgebung am 4. November 1989. Bild: Bundesarchiv,
Was wäre gewesen, wenn die DDR-Opposition gesiegt hätte? Ein Kommentar
Es ist natürlich immer problematisch, wenn man Ereignisse danach befragt, was gewesen wäre, wenn an einem bestimmten Datum die gesellschaftliche Entwicklung anders verlaufen wäre. Doch der 4. November 1989 ist so ein Datum, an dem wir diese Frage stellen. Vor 30 Jahren, es war ein Samstag, protestierte ca. eine halbe Million Menschen in Ostberlin für eine sozialistische DDR.
Der schönste Tag der DDR
An diesem Tag war die DDR-Opposition auf der Straße. Es waren die Menschen, die gegen die autoritäre SED-Herrschaft die Prinzipien einforderten, die die DDR propagandistisch vor sich hertrug. Die Menschen forderten eine antifaschistische, sozialistische und ökologische DDR. Nicht nur für Jens Reich war der 4. November 1989 der "schönste Tag der DDR".
Hätte die DDR-Oppositionsbewegung gesiegt, dann wäre vielleicht der 4. November heute Feiertag. Auf jeden Fall wäre er ein besonderer Erinnerungstag. Doch das ist nicht der Fall. Lediglich zum 30ten Jahrestag gab es einige künstlerische Aktivitäten. Dass der 9. November und der 3. Oktober die zentralen Daten des DDR-Umbruchs wurden, ist ein Zeichen für die Niederlage der DDR-Opposition.
Das ganze staatsoffizielle Gerede von der friedlichen Revolution soll davon ablenken. Doch tatsächlich wurde die soziale Bewegung der DDR-Opposition gekapert vom BRD-Parteien- und vom westdeutschen Staatsapparat. Deshalb kam es zur Wiedervereinigung, dem Anschluss der DDR an die BRD. Der 3. Oktober ist die zynische Feier des Sieges über die DDR-Opposition. Man kann es auch so ausdrücken: Mit dem 3. Oktober war der Sieg der Konterrevolution perfekt, besiegt war die DDR-Opposition, für die der 4. November ein Höhepunkt ihrer Arbeit der Wochen und Monate davor gewesen ist.
Denn schon vorher zeichnete sich ab, dass es mit der autoritären DDR-Herrschaft nicht mehr weitergeht. Bis in die kleinsten Orte hatten sich Oppositionsgruppen gegründet und sie machten Pläne für die Lösung ganz vieler Probleme, die sich in der DDR angesammelt hatten, die aber auch für die BRD aktuell waren. Hierin liegt auch der Grund, warum auf den "schönsten Tag der DDR" der konterrevolutionäre Gegenschlag folgte. Denn ein Erfolg der linken DDR-Opposition hätte auch die Verhältnisse in der BRD angetastet.
Vielleicht wären auch dort Menschen neugierig geworden, was die Geheimdienste "West" so an Daten sammeln und hätten auch mal kollektiv die Akten durchgesehen? Vielleicht hätten dort auch mehr Menschen Lust auf einen Sozialismus von unten bekommen?
SED-Nomenklatura und Westparteien gegen die DDR-Opposition
Das durfte nicht sein und so setzte die Revanche ein. Ein ganz wichtiges Datum dafür war der 9. November, der Tag der Maueröffnung. Das klingt im ersten Moment paradox. Doch das liegt nur daran, weil dieses Datum staatsoffiziell zum Befreiungsakt hochstilisiert wurde und noch immer wird.
Selbst im wöchentlichen Fragebogen in der linksliberalen Wochenzeitung Freitag lautet eine Frage: "Haben Sie geweint, als die Mauer fiel?" Nicht wenige DDR-Oppositionelle könnten diese Frage bejahen. Doch die Tränen galten nicht der Wiederauferstehung Deutschlands, sondern dem Ende des Traums von einer linken DDR. Denn fast allen war klar, dass mit der Maueröffnung das Ende der DDR kommen wird und dass all die vielen Konzepte für eine andere DDR, die in den Wochen davor ausgearbeitet worden waren, obsolet geworden sind.
So hat nicht zum ersten Mal ein Teil der DDR-Nomenklatura den BRD-Eliten in die Hände gespielt bei der Verhinderung einer sozialistischen DDR. Ob es ein bewusstes Zusammenspiel gegeben hat, oder ob die plan- und konzeptlose Grenzöffnung vom 9. November 1989 nur objektiv den BRD-Eliten in die Hände spielte, mag geklärt werden, wenn auch diese Akten mal allen zugänglich sind. Tatsächlich aber gab diese Art der Maueröffnung den BRD-Organen die Möglichkeit, sich in die DDR, einen damals noch souveränen Staat, einzumischen und der DDR-Opposition die Grenzen aufzuzeigen.
Diese konnte nur machtlos mit ansehen, wie ein Beschluss des Runden Tisches ignoriert wurde, der den Westparteien Wahlkampf in der DDR verboten hat. Stattdessen bastelte die Union an ihrer Allianz für Deutschland. Das war nicht nur dem Namenskürzel nach eine Blaupause für die AfD. Mit der Deutschen Sozialen Union war eine nach rechts weit offene Partei Teil des Bündnisses.
Das passte ganz zum Konzept der BRD-Eliten. Mit einer Mischung aus Nationalismus und Angst vor dem wirtschaftlichen Chaos wurde das Klima geschaffen, das einem Großteil der DDR-Bevölkerung suggerierte, eine Wiedervereinigung sei der einzige Ausweg. Denn es ist ein Mythos, wenn heute behauptet wird, es hätte in der DDR-Bevölkerung immer schon den großen Wunsch nach Wiedervereinigung gegeben und nur einige weltfremde Oppositionelle wollten eine linke DDR behalten......
weiter > https://www.heise.de/tp/features/4-Novem...77676.html
einige Kommentare:
Demokratisierungsversuche scheitern, wenn es den Mächtigen nicht passt
Einschließlich der Wende, die keine Revolution war, haben demokratisierende Bewegungen es schwer, sich durchzusetzen.
Demokratie bedarf der Zurückhaltung der Mächtigen, damit das Volk zum Zuge kommt.
Dies kann nur in einem starken geschlossenen System erfolgen, wo jeglicher äußerer Einfluss ausgeschaltet ist, ansonsten wird die ganze Aktion mittels der Macht des Stärkeren einfach gesprengt. Es bedarf klare Regeln zur Konsensfindung und Möglichkeiten zur Sanktionierung von Regelverstößen.
Die ostdeutsche Opposition hatte keine Chance. Sie war zu schwach und hatte auch nicht die Unterstützung für einen demokratischen Staat DDR. Die Mehrheit wollte von der SED-Riege nicht mehr gegängelt werden, sie wollten auch in den Westen reisen können, sie wollten auch die schönen Westgüter der Westfernsehreklame haben.
Die Unterstützung für die Opposition war solange noch vorhanden, wie es ihre Wünsche nur etwas näher gebracht hat.
Als die Wünsche Realität wurden, waren die DDR-Bürgerrechtler nicht mehr gefragt.
Da der Westen diese Gelegenheit nicht verstreichen wollte, um ihren Einfluss nach Osten auszudehnen, wurde alles unternommen, um die Bevölkerung mit flotten Sprüchen zu kaufen. Aus dem demokratischen Ansatz der Losung "Wir sind das Volk" wurde nachweislich durch die CDU die Losung kreiert "Wir sind ein Volk".
Nationalität ersetzte Demokratie.
Die waren eben nicht alle für eine "sozialistische DDR"
... viele, vermutlich sogar die meisten, wollten ein Ende des Staates der sie einsperrt und unterdrückt, und die Demokratie zur Farce macht.
Die DDR brauchte einen Todesstreifen als Grenze um die Leute im Land zu halten.
Die SED hat noch mal versucht die Demonstrationen mit U-Booten zu unterwandern, aber die meisten hatten einfach die Schnauze voll von diesem korrupten Regime.
Ach, Kinder, jede Analyse muss ins Leere laufen...
... denn die DDR- Opposition als solche gab es nicht. Wir waren uns in den 80ern einig, dass es Glasnost und Perestroika geben muss, aber als es dann konkret wurde, sind wir in 100 verschiedene Richtungen auseinandergerannt.
Der Rest ist Geschichte.
Gescheiterte Revolution?
Aber nur, wenn man ganz fest daran glaubt und nach wie vor auf einer linken Wolke schwebt.
Merke.
Die DDR war sozialistisch und nicht sozial.
Der Arbeiter, Bauer usw. hat das sehr schnell am eigenen Leib verspürt und war in der Lage das zu erkennen, bei nicht involvierten westlichen Salonlinken und Sozialismus Träumern, ist der Weg zur Erkenntnis noch ein sehr langer.
Wir sind das Volk - Wir sind ein Volk
Die Nachdenkseiten haben diese Manipulation auch schon thematisiert.
Man könnte auch von der gekaperten Revolution sprechen.
Auch das Wort von der Wiedervereinigung kann durchaus kritisch betrachtet werden.
Die meisten DDR Bürger glaubten wohl, dass sie nach der Wiedervereinigung gleiche Wirtschaftsverhältnisse wie in der BRD bekommen.
Mit einer Vereinigung impliziert man gerne, dass danach gleiche Bedingungen herrschen.
Das ist bis heute nicht der Fall.
Laßt die Kläffer das tun, was sie können
Sie sind es nicht wert estimiert zu werden.
Ein gut gelungener Rückblick des Autors, dem entgegenzusetzen nicht allzu viel zur Verfügung stehen dürfte.
Der Einordnung als historischen Prozeß ist nur weniges zu ergänzen.
Es steht jenseits der politischen Fragen, die der Autor abarbeitet, noch Prinzipielles zu bedenken.
War wirklich im 20. Jahrhundert die Zeit, eine basisdemokratische Gesellschaft, man kann sie auch wahrhaft sozialistische nennen, unter den Bedingungen des Entwicklungsstandes der Produktivkräfte und erst recht der weltweiten Konfrontation aufbauen zu wollen? Es gibt genügend Gründe, dies mit "Nein" zu beantworten.
Waren denn Theorie und Praxis der M/L, die in den Köpfen auch der Linken unhinterfragt dominierten, eine realistische Grundlage für dieses Vorhaben? Auch hier: Nein. Selbst im Nachgang kam es bis heute unter den Kräften der Bürgerbewegung nicht in den Sinn, daß überhaupt keine ökonomische Konzeption dafür vorhanden war und noch heute ist. Ohne eine solche einfach Sozialismus schaffen? Welcher Gestalt? Anfangen ohne differenzierte Zielstellung? Diese Fragen sind nach wie vor offen.
Den Ansatz zeigen die Arbeiten, die sich mit der Wertdefinition nach Marx, nicht der ihn verfälschenden des M/L beschäftigen. Mehr dazu liefern die Artikel von Heinrich Harbach und Werner Richter.
Die Frage nach dem Wollen der SED-/Staatsführung ist gut gestellt. Neben der dort herrschenden Konfusion war keine Bereitschaft, sich zumindest mit den Bürgerbewegungen zu treffen und nach gemeinsamen Wegen zu suchen, nicht vorhanden. Auch deshalb wohl beantwortet der große letzte Führer Egon Krenz heute diesbezüglichen Anfragen und Vorschläge nicht. Vielmehr ist ein sehr vielsagendes Faktum auch durch den Autor unterstrichen worden. Nach damaligen Insider/Protagonisteninformationen waren aus dem SED-Mittelbau Kräfte sehr zielstrebig damit beschäftigt, seit 1980 für genau diese Entwicklung nach 1989 Vorsorge zu treffen, sich z.B. wasserdicht mit Immobilien zu versorgen. Das geht komischer Weise mit der Einschätzung von Thierry Meyssan konform, der aus etwas weiterer Sicht und mit internationalen Quellen aus Politik, Wirtschaft, Militär und Diplomatie zur Einschätzung gelangt, die ganze Sache sei ein Coup von Kirche und Nationalisten in der DDR/SED gewesen. Diese Sicht ist schon sehr interessant.
Nein, so war das nicht
Peter Nowak versucht als westdeutscher Journalist den November 1989 so umzudeuten, als dass es eine "linke" Opposition gab, die hätte siegen können.
Die Opposition in der DDR verstand sich aber nicht als links, sondern begriff sich bestenfalls in homöopathischen Dosen als "sozialistisch". Es gab in meinen Augen nur zwei nennenswerte Oppositionsblöcke, die eine Legitimation in der DDR-Bevölkerung besaßen: die kirchlich-ökologisch-orientierte Opposition und die rechtsnationalistische Strömungen, die zunächst unorganisiert und sich später in diversen Gruppen/Parteien sammelten bzw. an Westparteien andockten. Das DDR-System hatte in erster Linie nicht wegen der Demokratiedefizite keinen Rückhalt in der Bevölkerung, sondern wegen der miesen wirtschaftlichen Lage, der Reiserestriktionen, der private Bevormundung durch SED-Organisationen und wegen eines tiefsitzenden Hasses auf die Russen (Chauvinismus/Überlegenheitsgefühl gegenüber den slawischen, ungarischen, asiatischen "Brudervölkern").
Ich war selbst auf div. Montagsdemonstrationen gewesen. Man kann sich die Wende im Nachhinein immer schön saufen. Aber mir sind weniger die Forderungen nach Demokratie und wahrhaften Sozialismus in Erinnerung geblieben, sondern Lynchaufrufe gegen vermeintliche oder tatsächliche Stasi-Spitzel, "Ausländer raus"-Rufe, antirussische Parolen und die Rufe nach Reisefreiheit ("Visafrei bis Shanghai").
Für mich die bittere Erkenntnis der damaligen Zeit: die Leute wollen ein bisschen herumreisen, ordentlich shoppen und viel fernsehen. Und ansonsten ihre Ruhe haben. Die westdeutschen Parteien und Eliten mögen diese lasche Lebenseinstellung zügig aufgegriffen haben, sie waren aber nicht verantwortlich dafür, dass die DDR restlos gegen die Wand fuhr. Das haben sich die Bürger der DDR selbst zuzuschreiben.
Geschichtsverständnis eines Illusionisten
Es ist schon traurig, immer wieder von den stets aufrichtig und so einsam gebliebenen Linken lesen zu müssen, wie ihr Traum ein weiteres Mal gescheitert ist - an der Kraft der so schlauen Eliten. Leider werden dabei die historischen Ereignisse durch eine sehr gefärbte und verzogene Brille umgebogen. Dass am 4. Nov. 89 angeblich "ca. eine halbe Million Menschen in Ostberlin für eine sozialistische DDR" protestierten und "Die Menschen"(!) "eine antifaschistische, sozialistische und ökologische DDR." forderten, das ist das eine Ende einer völligen Schiefwahrnehmung. Dass es die bloßen Machenschaften der BRD-Eliten gewesen seien, die aus diesem Traum einen Albtraum der Wiedervereinigung unter kapitalistischen Bedingungen gemacht haben, das andere Ende.
Sicher haben die BRD-Eliten heftig mitgemischt, sicher auch unter falschen Versprechungen. Dass aber halt eine große Mehrheit des DDR-Volkes so gar nichts von weiteren sozialistischen Versuchen hielt und "die D-Mark" mit "wir sind ein Volk" wollte, das ist die andere, unleugbare Seite der Medaille. Pech für die aufrichtigen Sozialisten vom Neuen Forum und vom Runden Tisch mit ihren Anhängern. Sie waren es gewiss, die überhaupt erst den Mut zum Widerstand und Aufstand gegen die DDR-Bürokraten aufbrachten und dann auch Massen mobilisieren konnten. Aber als es erstmal soweit war, dass diese Massen sich auch auf die Straße trauten, kamen deren Parolen gegen links auch sehr schnell zum Durchbruch. Auch, dass hier politische-soziale Einstellungen hervor gekrochen kamen, die man klar als Vorläufer der Pegida erkennen kann. Das bittere Ende dieser Wiedervereinigung mussten die D-Mark-Anbeter dann in den 90ern schnell erleben - einen Aufstand dagegen ist ausgeblieben (Widerstand: ja).
Tja, so läuft es halt immer wieder schief mit dem linken Traum. Das war schon 1918/19 so, und klar, "wer hat uns verraten", das ist schon richtig. Dass aber die die KZs und den Weltkrieg überlebenden Anti-Faschisten in der DDR die zusammengeschossene Räterepublik von 1918/19 wieder errichten wollten, das ist eine weitere Illusion. Die KPD war schon lange unter Stalins Fuchteln geraten und gezwungen.
Das Problem linken Denkens ist leider immer wieder durch Interpretationen des historischen Geschehens getrübt, welche vermeintliche und/oder geplatzte Träume als Deutungszentrum heranziehen.
Die "DDR-Opposition"
"An diesem Tag war die DDR-Opposition auf der Straße. (...) Die Menschen forderten eine antifaschistische, sozialistische und ökologische DDR.."
Frage an den Autoren: Wenn das die tatsächlich mehrheitlich Forderungen der "Opposition" waren, wer waren dann die, die "Gommt die DÄ-Moark, blaibn wir! Gommt sie nicht gähn wir zu ihr!" skandiert haben? Das Politbüro?
Sanktionen Statt Nostalgie
Heute hat das Bundesverfassungsgericht die unsozialen Hartz-IV-Sanktionen größtenteils für verfassungswidrig erklärt. Verfassungswidrigen Sanktionen der Ärmsten sind die wahre Fratze des Systems Merkel & Friends.
Dass das "linke Spektrum" über ein Jahrzehnt nicht in der Lage war, diese unsoziale Praxis zu beenden, offenbart ihre Ohnmacht. Erschwerend kommt hinzu, dass Teile des "linken Spektrums" derart unsoziale und verfassungswidrige Sanktionen unterstützt haben..
Ein Grund, warum das "linke Spektrum" in solch wichtigen Fragen versagt ist, dass es seine Kräfte auf Nebenschauplätzen verzettelt und somit nichts erreicht. Niemand wählt Traumtänzer, die nicht einmal existentielle gesellschaftliche Probleme konsequent und erfogreich angehen.
Viel Spaß bei den Träumereien von was wär wenn "4. November 1989: Die gescheiterte Revolution" anders gelaufen wäre. Viel mehr wird wohl nicht bleiben
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06.11.2019, 11:16
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 07.11.2019, 00:33 von Huxley.)
(06.11.2019, 09:02)Rundumblick schrieb: 4. November 1989: Die gescheiterte Revolution
05. November 2019 Peter Nowak
![[Bild: Demonstration_am_4-0e51389ff906b955.jpeg]](https://heise.cloudimg.io/width/798/q75.png-lossy-75.webp-lossy-75.foil1/_www-heise-de_/tp/imgs/89/2/7/8/2/4/7/6/Demonstration_am_4-0e51389ff906b955.jpeg)
Demonstranten auf dem Alexanderplatz, Berlin, während der Abschlusskundgebung am 4. November 1989. Bild: Bundesarchiv,
Was wäre gewesen, wenn die DDR-Opposition gesiegt hätte? Ein Kommentar
weiter > https://www.heise.de/tp/features/4-Novem...77676.html
einige Kommentare:
Die Mehrheit der Menschen der DDR wollte eben nicht was "Oppositionelle" wollten
Die "Oppositionellen" waren letztlich Teil der Elite, die wollten eine leicht veränderte DDR, die Mehrheit der Bevölkerung wollte ein Ende der DDR, weil die genau wussten, dass sich nichts grundlegend ändern würde, nur ein paar Pöstchen würden neu besetzt.
Die Demonstrationen gingen auch gar nicht von den "Oppositionellen" aus, sondern von den Unzufriedenen, die einfach ein besseres Leben wollten, etwas was die DDR trotz all der Versprechen eben nicht lieferte. Die "Oppositionellen" haben nur versucht diese Bewegung zu kapern und sich an ihre Spitze zu setzen, was zum Glück gründlich misslang.
Und die Mehrheit hat am Ende entschieden, und für diese Mehrheit war die Entscheidung auch richtig. Natürlich wollen Antidemokraten wie Nowak das nicht akzeptieren. Der meint, "demokratisch" könne nur das sein, was er für gut und richtig hält. Dass Leute andere Standpunkte haben könnten, und aufgrund rationaler Überlegung zu anderen Entscheidungen kommen als er, das geht dem nicht in den Sinn.
Die Leute haben schon einmal erlebt, wie ihr Land von Leuten die ihnen das Blaue vom Himmel versprachen in ein riesiges Gefangenenlager verwandelt wurde ("Niemand hat die Absicht eine Mauer zu errichten"), oder das zumindest von ihren Eltern erzählt bekommen, die hatten keine Lust Teil eines weiteren sozialistischen Menschenexperiments zu sein.
Am 1. Tag der Grenzöffnung hat diese "Revolution" ihr wahres Gesicht gezeigt.
Und zwar in Form von komplett leergekauften Läden im Zonenrandgebiet.
An ihren Taten sollt ihr sie erkennen! (Bibel)
Lesenswerter Artikel, aber es war keine Revolution
Ich bin Herrn Nowak sehr dankbar, dass er uns die Ereignisse von 1989 nochmals nahebringt und sich dabei vom heute üblichen Mainstream-Gedudel abhebt.
Das bewerte ich sehr positiv, auch wenn ich seine Meinung nicht teile!
Es wäre wünschenswert, daraus eine größere Diskussionsrunde zu machen, denn es zeichnet sich ja ab, dass die Annexion Ostdeutschlands (ich vermeide den Mainstream: Wiedervereinigung nach friedlicher Revolution) heute und auch in der weiteren Zukunft noch eine große politische Rolle in Deutschland spielen wird. Insofern wird kein Weg daran vorbeiführen, dass sich linke wie rechte Eliten, Parteien und Bewegungen mit dem Thema auseinandersetzen müssen, ob sie wollen oder nicht!
Die historische Wahrheit ist, dass die DDR wie auch der gesamte Ostblock aus wirtschaftlichen Gründen die historischen Verlierer waren. Und die DDR ist in den 80ziger Jahren aus wirtschaftlichen Gründen zerfallen. Stück für Stück schwand in der Gesellschaft der Glaube an eine erfolgreiche und prosperierende Zukunft, und das zu Recht.
Als junger Wissenschaftler habe ich diesen Prozess ab Ende der siebziger Jahre miterleben müssen. Als die Möglichkeiten, die Gorbatschow ab 1985 aufzeigte, von der DDR-Betonriege nicht nur nicht wahrgenommen. sondern strikt abgelehnt wurde, und der Honecker-Besuch bei Kohl 1987 ohne jedes Resultat blieb, war ab 1987 der Zerfall der Gesellschaft nicht mehr aufzuhalten.
Und was konnte dann für die stille Mehrheit der Bevölkerung nur die wirtschaftliche Alternative sein? Ja, der schnellstmögliche Anschluss an die BRD, den sichtbaren wirtschaftlichen Erfolgsgaranten.
Die Ereignisse in 1989 waren vorhersehbar (ohne Kenntnis der konkreten Anlässe). Und auch ich hatte nicht mit der nachfolgenden totalen, dummen und demagogischen politischen Vereinnahmung durch die bundesdeutschen Eliten gerechnet. Der erste totale neoliberale Angriff auf die ostdeutsche Teilgesellschaft wurde vorbereitet und durchgeführt und gewonnen. Nach diesem Muster werden bis heute die sozialen Errungenschaften der Vorgängergesellschaft der alten Bundesrepublik Stück für Stück geschliffen.
Und deshalb ist die Wiedervereinigung nicht nur Geschichte, sondern lebendige Politik und sollte Grundlage einer umfassenden Diskussion werden.
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Unser galliges Gelächter – es liegt mir fern, die Bundesrepublik mit der DDR zu vergleichen
Die Schriftstellerin Monika Maron erinnert sich an den Mauerfall: Jeder, der sprechen wollte, konnte nun sprechen, wer für oder gegen etwas kämpfen wollte, konnte das öffentlich und ungefährdet tun. Und heute? Da wird Menschen wegen unerwünschter Meinungen die Existenz wieder erschwert oder sogar zerstört......
weiter > https://www.nzz.ch/feuilleton/monika-mar...ld.1519713
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Die Anstalt zum Thema!
INP
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08.11.2019, 09:27
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 08.11.2019, 09:31 von Huxley.)
War ja nicht alles schlecht, oder?
30 Jahre nach ihrem Scheitern erfreut sich die DDR wieder steigender Beliebtheit. Kein Wunder: Verklärung statt Aufklärung, heißt das Motto.
Eine wachsende Zahl von Menschen findet heute, dass es in der DDR eigentlich gar nicht so schlimm war. Unter vielen Jungen hat die untergegangene Diktatur im Osten Deutschlands sogar Kultstatus. Produkte aus der planwirtschaftlichen Produktion sind „cool“, und Herr Honecker hat über die Jahre hinweg viel von seinem Schrecken eingebüßt. Er gilt nicht mehr als der grausame Diktator, sondern als schrulliger Opi mit einer komischen Brille.
Jemand, mit dem man gerne mal auf ein Bier gegangen wäre, um ein wenig zu plaudern. Darüber, wie es so war in der guten alten DDR.
Klar, das Land war keine lupenreine Demokratie, auch wenn sie diese im Namen trug. Und ja, die Menschen hatten weniger als ihre Landsleute im Westen. Sie kannten keinen Luxus, dafür hatten sie Arbeit und leistbare Wohnungen. Nicht zu vergessen die Kindergärten, die waren toll.
Kostenlose Ganztagsbetreuung durch linientreue Genossen. War ja nicht alles schlecht, damals. So sehen das jedenfalls viele junge Menschen in Gebieten, die vor nicht allzu langer Zeit noch fest in den Händen der Staatssicherheit waren. Vielen dieser jungen Leute fehlt es offenbar an Wissen.
Anders ist nicht zu erklären, dass heute 76 Prozent der Ostdeutschen unter 30 auf die Frage des Allensbach Instituts, ob die Lebensumstände in der DDR ganz erträglich gewesen seien oder dringend zu ändern gewesen wären, mit „Ich weiß nicht“ antworten.
Die Ostdeutschen unter 30 haben keine Vorstellung davon, unter welchen Umständen ihre Vorfahren gelebt haben.
Sie wissen es nicht. Sie haben keine Vorstellung davon, unter welchen Umständen ihre Vorfahren gelebt haben. Wie sich ihre Eltern und Großeltern vor leeren Regalen die Beine in den Bauch standen und sich nur mit leicht bitteren Witzen bei Laune halten konnten.
Etwa mit jenem, wie eine Frau in den Konsum kommt und den Verkäufer hinter der Theke fragt: Gibt es hier denn kein Brot? Worauf dieser antwortet: Nein, hier gibt es kein Fleisch. Kein Brot gibt es im ersten Stock!
Scherze wie diese konnten tödlich sein. Die DDR war nämlich nicht der eigenartige Oststaat mit ein paar Unzulänglichkeiten. Sondern ein gnadenloser, perfekt organisierter Spitzelstaat, vor dem man nicht einmal innerhalb der eigenen Familie sicher war.
Ein Staat, der Hunderttausende in den Knast steckte, weil sie den Sozialismus nicht für die ganz große Offenbarung hielten. Davon wird heute nicht mehr geredet, stattdessen wird vom günstigen Wohnraum geschwärmt.
In welchem Zustand diese Wohnungen nach 44 Jahren Sozialismus waren, scheint nicht mehr zu interessieren. Der deutsche Historiker Rainer Zitelmann weiß es: Jedes zehnte Wohnhaus war unbewohnbar, vier von zehn Wohnhäusern schwer beschädigt, 65 Prozent der Wohnungen wurden mit Kohleöfen geheizt, 24 Prozent hatten keine eigene Toilette, jede fünfte kein Bad, knapp 200 Altstadtkerne waren vom Verfall bedroht. „Ruinen schaffen ohne Waffen“, wie gespöttelt wurde.
In den Köpfen vieler im Westen gilt die DDR heute nicht nur als Mieterparadies, sondern auch als eine Art Umweltidyll.
Weil das Land nicht dem Kapitalismus frönte, der ja bekanntermaßen die ganze Welt in die ökologische Apokalypse führe. Im „Spiegel“ vom Juli 1985 liest sich das dann aber doch etwas anders. „In Leuna ist den Bewohnern der Arbeitersiedlung bis heute unbekannt, dass sie Obst oder Gemüse aus den eigenen Gärten nicht essen dürften: Es enthält Cadmium, Quecksilber und andere Schwermetalle – bis zu 150 Mal mehr, als die menschliche Gesundheit gerade noch verkraftet.“ Ganze Ortschaften waren unbewohnbar, wie das 500 Einwohner zählende Mölbis: „Kleinkinder leiden an chronischem Bronchialasthma. Erwachsene klagen über Atemnot oder Ekzeme, Kreislaufbeschwerden oder Depressionen. Das Leitungswasser ist ungenießbar.“
Ö1-Hörer wissen: Die Wiedervereinigung ging in die falsche Richtung.
Das wäre auch für die Redaktion der Ö1-Serie „Im Gespräch“ ein interessanter Lesestoff gewesen. Etwa als Vorbereitung auf das Interview mit der Schriftstellerin Daniela Dahn, das unlängst zu hören war. Schon bald war klar, dass die Wiedervereinigung nur einen schweren Makel in sich trug: Sie ging in die falsche Richtung.
Nicht der Osten hätte die „überkommenen kapitalistischen Strukturen des Westens“ übernehmen müssen, sondern der Westen hätte sich einer reformierten DDR anschließen sollen. Man muss das gehört haben, um es glauben zu können.
Im Vorjahr war übrigens Gregor Gysi in derselben Sendereihe zu Gast.
Viele Hörer hätte sicher interessiert, wie man in einer Diktatur einer von nur 600 zugelassenen Anwälten wird und wie man in dieser Umgebung die Ansichten seiner Klienten vor der Stasi wahrt. Stattdessen wurde der letzte Vorsitzende der SED-PDS allen Ernstes gefragt, ob die DDR ein Unrechtsstaat war.
Man wird ja wohl noch Tausende politische Abweichler vor der Öffentlichkeit in Schutz bringen und ein paar Tausend ausreisewillige Bürger vom Zaun knallen dürfen, oder?
Im Harz war es doch auch schön, warum gleich ins imperialistische Ausland fahren?
Also dorthin, wo 30 Jahre nach dem Zusammenbruch der DDR vor allem über die Vorzüge des einstigen Terrorstaates philosophiert werden sollte.
Kolumne von Franz Schellhorn im aktuellen Profil (02.11.2019).
> https://www.agenda-austria.at/war-ja-nic...echt-oder/
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08.11.2019, 10:01
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 08.11.2019, 10:10 von A.Hauß.)
Ja, mal wieder eine schöne "Anstalt". Kann ich noch ergänzen um den Bericht eines Bekannten, der aus DDR-Betrieben in Abwicklung das Verwertbare rausholte. Er war ganz erstaunt, dass da z.B. ganz neue, hochwertige Maschinen standen -aus dem Westen - die gerade noch im Vorjahr von der KoKo Schalck-Golodkowskis gekauft worden waren und nun so recht nix mehr wert gewesen sein sollen. Oder man erinnere sich an den Deal, Wartburg-Neuwagen mit neuen VW-Motoren auszustatten. Ja, und ganz persönlich: meine "Privileg"-Waschmaschine ist mindestens 32 Jahre alt un läuft und läuft und läuft...
Was komplett fehlt, ist die Wühlarbeit der Dienste zuvor, das geopolitische Umfeld (UdSSR zugrunde gerüstet....), der Ölpreis und so manches mehr incl. der SED-Politik ohne Fingerspitzen und Differenzierungen. Das ist in einer Sendung natürlich nicht alles unterzubringen, sei aber hier erwähnt.
Nicht zu vergessen der nicht ganz unerhebliche Aspekt, dass die DDR ein Produkt aus dem Untergang des Nazireichs mit der Hinterlassenschaft von Ruinen in Fabriken und Infrastruktur, aber auch in den Köpfen der Menschen war. Und dass ihre Souveränität - ähnlich der westdeutschen - begrenzt war.
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08.11.2019, 11:22
(Dieser Beitrag wurde zuletzt bearbeitet: 08.11.2019, 11:51 von Huxley.)
(07.11.2019, 12:53)INP schrieb: Die Anstalt zum Thema!
INP
hongdemogui
vor 1 Tag
Der erste Beitrag im Öffentlich-Rechtlichen zum "Jubeltag", der NICHT zum Kotzen war.
Ingo Lars Sonstwer
vor 1 Tag (bearbeitet)
Ich konnte mir das nach 20 Minuten nicht länger ansehen. Jetzt 30 Jahre nach dem Mauerfall kann man sich natürlich immer hinstellen und alles was an Entscheidungen zur damaligen Zeit getroffen worden ist mit erhobenem Zeigefinger kritisieren und den Besserwisser geben. Ich frage die Herren Uthoff und Wagner aber, ob sie wirklich glauben, das man in Anbetracht der damaligen Umstände "die Einheit" hätte besser hinbekommen können. Im Nachhinein sind alle schlauer. Für diese "Übernahme" wie es gestern bezeichnet wurde, gab es doch überhaupt keine Alternative, auch nicht für die Einführung der D-Mark. Oder hätte man die Mauer wieder errichten sollen nur damit genügend Zeit bleibt, die Dinge anders und vermeintlich besser zu regeln? Das wäre politisch undurchführbar gewesen. Und diese Tatsache kann man auch nicht negieren, so wie es gestern wieder passiert ist. Das bei so einem Vorgang wie der Wiedervereinigung nicht alles so läuft wie man es sich hätte wünschen können, ist denke ich doch völlig normal. Dafür gab es keine Blaupause oder gar Erfahrungswerte. Das zu kritisieren verkennt den Handlungsdruck unter dem alle in der damaligen Zeit gestanden haben.
Ich hätte es nicht machen wollen oder können. Sie etwa Herr Uthoff, Herr Wagner?
Helga Schmidt
vor 1 Tag
Beschleunigung der Konterrevolution in der DDR.... https://sascha313.wordpress.com/2017/02/15/modrow-krenz-und-konsorten-handlanger-des-imperialismus/
Lulukovor
1 Tag (bearbeitet)
Wieder viele schöne Beispiele das man als der kleine arme Bürger immer der gefickte ist. Das ist auch ein Grund warum so wenig Deutsche sowas wie ein "Wir" Gefühl besitzen und das ich nur Schadenfreude empfinde wenn CDU und Konsorten bei den Wahlen nur noch abkacken. Schade nur das die ganzen Stimmen nicht zur Linken gehen but whatever.
Elon Musk
vor 1 Tag
Richtige Analyse. Anstatt links zu wählen, wählen die Leute eine ehemalige Goldman Sachs Frau. Unvertraulicher geht es nicht mehr
Salvatore
vor 1 Tag
Stimmt, wenn wir die Nachfolgepartei der SED wählen, wird alles besser. Die Linken haben sich ja nur das Parteivermögen einer Partei angeeignet, die einen Unrechtsstaat angeführt hat.
hans müller vor 1 Tag
@Salvatore immer dieser verblödete narrativ von rechts. dann guck dir doch mal an wieviele und vor allem welche SED und Stasi Leute in die CDU eingetreten sind oder die SPD. Aber Hauptsache immer unreflektiert diese scheiße nachplappern. Eine Repräsentative Demokratie führ sowieso nie zu einer freien Gesellschaft. Dafür muss mensch die Dinge selbst in die Hand nehmen, basisdemokratisch; zum Beispiel Anarcho-Syndikalistisch. Und der Freiraum für basisdemokratische Initiative ist unter linken Regierung mit Abstand am besten. Man sehe sich Griechenland an wo die Konservativen gerade alles einstampfen, was an basisdemokratischen Strukturen gewachsen war unter Syriza.
Dumm, dümmer, konservativ/AfD-Wähler...
Elon Musk
vor 1 Tag
@Salvatore Hans Müller hat recht, deine Aussage ist mal wieder absolut zurück [color=var(--ytd-comment-text-color)]geblieben.[/color]
Salvatore
vor 21 Stunden
hans müller der Freiraum für basisdemokratische Initiative ist unter linken Regierung mit Abstand am besten...
An dieser Stelle schöne Grüße an ganz Osteuropa, da waren unter den linken Regierungen ja über vierzig Jahre basisdemokratische Initiativen höchst erwünscht.
Stichworte Anarcho-Syndikalismus: können wir mal endlich aufhören zu denken solche Dinge wie Heraufbeschwören eines sogenannten Klassenkampf und damit eingehende Spaltung eines Landes als ernsthaftes politisches System für mehr als zehn Menschen anzusehen.
Und in Griechenland werden gerade die Weichen wieder richtig gestellt, weil die Bürger sich so dafür entschieden haben.
Und den AfD-Wähler verbitte ich mir
Sharann
vor 18 Stunden
Salvatore das ist so nicht richtig, Ziel war es die reformierte Partei PDS zu erhalten und die 40.000 Beamten die noch da waren (nach 95% Austritt; 700.000 Mitglieder haben Beiträge gezahlt und nahezu allesamt ausgetreten) und auf ihre Löhne warteten zu bezahlen.
Erst nachdem ein Gericht der PDS ein gewisses Vermögen zum Erhalt der Partei sicherstellte, verzichtete die PDS auf jegliches Vermögen. Und nicht einer konnte angeklagt werden, da sich keiner für das eigene Wohl bereichert hatte.
Die Treuhand konnte sogar Geld vom Ausland entdecken das noch von der alten Garde stammt, also noch vor der Wende aus dem Land gebracht wurde.
Über 6 Milliarden sind an den Fiskus der BRD geflossen (nicht zu vergessen dass davon 3 Milliarden Euro nur Gebäude waren), vom SED Vermögen fehlen noch Schätzungsweise ein paar 100 Millionen Euro im Ausland von dem die PDS auf einen Anspruch verzichtet hat und kein Cent will.
Des Weiteren ist die Finanzierung der Nachfolger Partei Die Linke das sauberste und transparenteste Buch aller Parteien. Nicht zu vergessen dass die Partei Die Linke nicht von Unternehmen gekauft werden kann.
Aber wenn sich die Konservativen vehement gegen die Öffnung ihrer Bücher stellen ist daran natürlich nichts auszusetzen gerade wenn genau diese Konservativen Parteien einen Unrechtsstaat aufgebaut haben.
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