20.09.2019, 21:08
(absichtlich unter Geopolitik eröffnet.)
https://www.jungewelt.de/artikel/363154....-dran.html
(20.09.2019, 11:55)Rundumblick schrieb:(20.09.2019, 11:09)BSB schrieb:Hubertus Knabe schrieb:Als schließlich die Marktwirtschaft Einzug hielt, gingen die CO2-Emissionen rapide zurück: von 333 Millionen Tonnen im Jahr 1989 auf 164 Millionen Tonnen im Jahr 1995. Auch in anderen Staaten des früheren Ostblocks verringerte sich der Ausstoß signifikant, als diese kapitalistisch wurden.
Weil sie deindustrialisiert wurden, du Depp.
Zitat:Das Land stieß zuletzt über fünfmal so viel Schwefeldioxid aus wie die Bundesrepublik. Zu den Folgen zählte ein großflächiges Waldsterben in den Mittelgebirgen. Auch bei den Schwebstaubemissionen übertraf die DDR die Bundesrepublik um knapp das Fünffache. Da sich die Industrie vor allem im Süden konzentrierte, litt hier fast jedes zweite Kind an Atemwegserkrankungen und beinahe jedes dritte an Ekzemen.
Ja, fast wäre die komplette Ausrottung der Bevölkerung erfolgreich gewesen. Gerade noch rechtzeitig wurde sie aus dem Vernichtungslager befreit. Die Treuhand setzte der Massenvergasung ein Ende.
Das ist wohl wahr, besonders das mit der Treuhand. Das scheint der Hubertus übersehen zu haben
Ging es den Leuten nach der Wende besser oder schlechter?
Wie hätte die DDR als eigenständiger Staat weiterbestehen können ohne am Tropf des Westens zu hängen?
Wäre sie reformierbar gewesen? Ohne Markt- und Wettbewerbsfähigkeit?
Zitat:Man kann ihnen ja viel vorwerfen, aber nicht, dass sie sich nicht gewehrt hätten. Wenn überhaupt ein Begriff dafür entstanden ist, dass DDR-Bürger ihren volkseigenen Besitz an Produktionsmitteln verteidigten, dann ist es dieser Ort. Wenn es einen Erkenntnisfunken gab, worum es bei diesem Jahrhundertereignis »Wende« wirklich ging, dann haben sie ihn gezündet: die in Bischofferode. Ob sie das wollten oder nicht. Ihre Geschichte erzählt von einem Jahrhundertgeschäft. Im Herbst 2014 fahre ich nach Bischofferode zum Gespräch mit Willibald Nebel. Er gehörte zu den Kalikumpeln, die 1993 ihren Schacht besetzten und in den Hungerstreik traten, um ihre Arbeitsplätze zu erhalten. Links auf den Weg zur Grube war früher Grenzgebiet. Die Westgrenze. Manchmal konnte man die Hunde sehen. Von der Anhöhe sieht man auf den gewesenen Arbeitsplatz von Willi Nebel. Der Blick auf seinen toten Betrieb tut immer wieder weh, sagt er. Und die Natur macht, was sie immer macht: Sie besetzt das Terrain. Mittlerweile sind die rot schimmernden Abraumhalden grün bewachsen. Auf der Halde Am Schacht 1 äsen Rehe und Damwild. Eine Idee der Agrargenossenschaft, um Arbeit zu schaffen. Es darf geschossen werden. Ich finde das sonderbar mit den Rehen hier. Ja, finde ich auch. Aber vieles ist sonderbar geworden. Wo sitzen wir jetzt? In der ehemaligen Poliklinik. Sie hatten eine eigene Poliklinik? Das gehörte sich so. Zu unseren besten Produktionszeiten waren hier zweitausend Arbeiter beschäftigt. Zum Werk gehörten der Sozialtrakt mit Großküche in drei Schichten, Kulturhaus, ein großes Verwaltungsobjekt, Poliklinik, Tischlerei, ein eigenes Kraftwerk. Damit haben wir seit den 60er Jahren sogar unser Freibad beheizt, Kindergarten und Wohnungen sowieso. Jetzt verfällt alles. Wir vom Kaliverein »Thomas-Müntzer« haben 1994 unsere Poliklinik übernommen und ein Museum zum Gedenken an das Bergwerk eingerichtet. Warum? Weil es Bischofferode nicht geben soll. Nie wieder. Im Museum erfährt man aber, wie alles war. Das ist unsere Geschichte. Wann haben Sie auf der Grube angefangen? 1967 in der Verladung, wo wir das Kalisalz verladen haben. Später habe ich mich vom Produktionsarbeiter zum Schichtmeister qualifiziert. Mussten Sie das machen? Nein, das war zu meinem Vorteil. Und Verantwortung fürs Werk. Wer waren die Hauptabnehmer für das Kalisalz? 90 Prozent unserer Produktion gingen nach Österreich, Frankreich, Italien, England, Westdeutschland. Was war das Besondere an dem Kali aus Bischofferode? Das Besondere an unserem Kalisalz war, dass es sehr rein, hochwertig war. Im Gegensatz zu anderen Kaligruben haben wir ja mitunter 18, 20 bis 25 Prozent Reinkali gehabt. Andere Betriebe wie Kali Kassel stehen da mit acht, zehn, maximal zwölf Prozent. Wir hatten rund 25 Prozent Reinerlös. Wissen Sie noch die letzten Fördermengen? Tonnenmäßig hatten wir mitunter zweieinhalbtausend Tonnen Reinprodukt. Pro Tag? Ja. Das ist sehr gut gewesen. Damit hat die DDR gute Geschäfte gemacht. Genau. Sie haben für Devisen gesorgt. Richtig. Hätte so weitergehen können? Ich würde heute noch gerne Salz verkaufen. Ist aber vorbei. Sogar einer der Fördertürme ist schon gesprengt. Warum ist der gesprengt worden? Weil er nicht mehr gebraucht wurde. Warum? Warum? Weil es nie wieder ein Bischofferode geben soll. Aber Kali ist noch genug in der Erde? Mit Stand von 1993 hatten wir noch für vierzig Jahre erkundete Produktionsqualität in der Grube. Kann sein, dass in dem Gebiet hier noch mehr liegt? Richtig. Das habe ich so deutlich noch nicht gehört. Das wissen die meisten auch nicht. Vorkommen für vierzig Jahre Produktion! Trotzdem wurde dichtgemacht. Man könnte aber jederzeit wieder fördern? Nein. Wir kommen nicht wieder an diese Lagerstätten ran, weil man 1993 die Grube nicht mit Feststoffen versetzt hat, sondern sie wurde geflutet. Durch das Fluten der Grube haben sich die vorhandenen Lagerstätten erledigt. Aus. Das ist ja unglaublich, ehrlich gesagt. Das sind die Machenschaften von BASF unter Helmut Kohl. Das ist aber sehr unglaublich. Ja, ist aber so. 1967, als Sie anfingen, wem gehörte da die Grube? Na, das war Volkseigentum, wie viele andere Betriebe. Wie lange haben Sie hier gearbeitet? Insgesamt 41 Jahre. Wann war für Sie Schluss? Mit der Stillegung der Grube 1993. Und dann? Nachsorgearbeiten bis 2009, da habe ich vor allen Dingen meinen Arbeitsplatz abgerissen und beseitigt. Wie viele Kumpel sind jetzt noch hier? 13 Leute, für Sicherungsmaßnahmen. Aber 2.000 hatten hier mal Arbeit. Was ist mit der Flutung? Das läuft immer noch. Sie haben gesagt, hier sei alles unterhöhlt. Solange, wie kein gesättigtes Salzwasser in die Grube eingeleitet wird, löst die nichtgesättigte Lauge alle Sicherheitspfeiler, die unten sind, weg. Daher auch der unkontrollierte Zusammenbruch des Grubenfeldes. Das ist schon zum Teil zusammengebrochen, Stück für Stück passiert das. Warum? Das verstehe ich nicht. Doch. Wenn man weiß, worum das geht, kann man das verstehen. Sagen Sie es, bitte. Das ist einfach. Es soll nichts wieder aus Bischofferode werden. Nie wieder hier im Einzugsgebiet eine Kaliproduktion. Welche Interessen stehen dahinter? BASF als Mutterkonzern, wobei Kali und Salz ein Tochterunternehmen von BASF ist. Die Ludwigshafener haben dafür gesorgt, dass Bischofferode nicht mehr produziert. Warum haben die denn mit dem Kali nicht selbst das Geschäft gemacht? Die haben doch ein Geschäft gemacht. Wir mussten schließen, und die haben ihre Produktion bei Kali Kassel gesteigert. Dort lagerte zwar nicht viel, aber immerhin. Inzwischen ist dort auch wieder ein Werk geschlossen worden, weil nicht rentabel. Und Unterbreizbach, was ja im Osten ist, wurde an Kali Kassel verschleudert, und nun holt Kali Kassel das Salz aus dem Osten nach drüben. Wie – unter Tage?
Unter Tage, kein Thema. Wir durften ja damals nur bis zur Grenze fördern, weiter ging unsere Produktion nicht. Aber heute wird in Unterbreizbach das Salz gewonnen, rüber in den Westen geschafft, hochgeholt, verarbeitet und dort verkauft. Als Kali Kassel? Als Unternehmensvariante Kali Kassel, richtig. Die Steuern zahlt Kali Kassel im Westen. Das ist doch das Geschäft. Aber die hätten mit diesem hochwertigen Kali Ost gute Exporte machen können? Ja und nein. Da hätten sie ja damals noch einige Betriebe mehr in den alten Bundesländern schließen müssen, wenn wir hier produziert hätten. Das ist der ganze Grund. Ihre Grube wäre dann geblieben? Richtig. Man hat sich aber gesagt, wir schließen lieber die im Osten, schaffen so die Konkurrenz weg, denn wir wären ja dann Konkurrenz gewesen. Kali Kassel hatte Arbeit, und wir wurden unsere Arbeit los. Wo steht das? Na ja, so steht das nirgends drin. Die sind doch schlau. Aber der Fusionsvertrag regelt das alles. Den kein Mensch einsehen darf? Wo der Herr Vogel (Bernhard Vogel, 1992–2003 Ministerpräsident von Thüringen, CDU) sagt: Ich habe diesen Vertrag nicht gesehen und nicht gelesen. Sagt der, das muss man sich mal vorstellen: unterschreibt und weiß nicht, was. Es ist die Rede von Geheimdokumenten. Das war ein Vertrag mit geheimen Anhängen, das ist richtig, der zwischen der Bundesrepublik und Kali Kassel geschlossen wurde bzw. der Treuhand. Wieder mal Treuhand. Kein Kommentar. Also, wirklich gut ist es Ihnen nach der Wende nicht gegangen? Nein, auf keinen Fall. So wollten wir das nicht. Bloß, das haben wir ja nicht erahnen können, dass mit der Wende soviel Soziales abgeschafft wird, dass diese Ungerechtigkeit passiert, denn auch die Arbeitslosigkeit hat mit sozialer Ungerechtigkeit zu tun. Das ist doch traurig, wenn man heute kämpfen muss um einen Mindestlohn von 8,50 Euro. Der Mensch braucht doch eine Arbeit, von der er leben kann. Wie haben Sie denn früher gelebt? Wie ganz durchschnittliche DDR-Bürger. Ich komme ja von hier und bin 1971 nach Kirchworbis gezogen. Da habe ich die große Liebe gefunden, Grundstück gekauft, auf der Grube unsere Arbeit gemacht – Leben mit allem Drum und Dran. Mit den damaligen Möglichkeiten des sozialen Gefüges war vieles machbar. Was dachten Sie, wie Ihr Leben wird? Vor allen Dingen sorglos. Wir wussten genau, morgen und übermorgen können wir wieder arbeiten, und durch die Arbeit haben wir unser Einkommen und können unsere Familien ernähren. In aller Ruhe Häusle bauen, die Kinder friedlich erziehen, Urlaub. Normal eben. Sie lebten hier dicht an der Grenze. Wie sah das praktisch aus? Das sah so aus: Vom Schacht waren es rund zwei Kilometer zum Schlagbaum für das Sperrgebiet, wo man nur mit Passierschein reinkam. Hat Sie das nicht gestört? Gestört schon, aber das war nicht das Problem, und ich sage auch heute, gut und schön, die »Wende«, teilweise musste sie kommen, aber sehr vieles ist durch die »Wende« zerschlagen worden. Warum musste die »Wende« kommen? Der sogenannte Kalte Krieg, das war nicht das, was in unserem Sinne war. Wir haben uns eingeengt gefühlt, aber hatten auch die soziale Sicherheit. Das war ja das, was wir eigentlich dachten zur »Wende«, dass wir das Soziale, das wir gewohnt waren, und die Marktwirtschaft vernünftig in die Reihe kriegen. Dann wäre es vielleicht was geworden, und heutzutage würden nicht ganz so viele darüber schimpfen. Aber der soziale Osten funktioniert in der Marktwirtschaft nicht. Wenn ich keinen Job habe, kein Geld, vielleicht noch Schulden, dann kann ich nirgends hinreisen und habe keine Reisefreiheit! Soweit hat keiner gedacht. Viele waren einfach auch von der Marktwirtschaft geblendet. Wie war das auf dem Schacht? Die Demonstrationen, die gab es erst 1989, das ist richtig. Diskussionen hatten wir im Prinzip ja immer und überall. Am Arbeitsplatz, im Kollektiv, da war, wie man so schön sagt, immer was los. Worum ging es? Dass man sich Gedanken machen müsste um ein vernünftiges Miteinander ohne Grenze. Kein Wunder hier, irgendwann denkt man: Wann kann ich denn da mal rüber? Richtig. Gerade in unserer Region, wo wir so dicht dran waren, sind Familien mitunter getrennt worden. Ihre auch? Richtig. Nebels gab es auch auf der anderen Seite, aber keine Besuche. Das habe ich mal in der Schule gesagt. Wir hatten damals Staatsbürgerkunde, teilweise war es nicht schlecht, da wurde uns schon zeitig was von der brutalen Marktwirtschaft erzählt. Das haben Sie aber nicht geglaubt? Richtig. Aber wir haben es nach der »Wende« begriffen, Marktwirtschaft ist brutal und unmenschlich. Aber damals habe ich dem Staatsbürgerkundelehrer gesagt: Tut mir leid, aber mein Bruder, mein Onkel, meine Tante zehn Kilometer weiter sind doch kein Klassenfeinde für mich. Ich sage: Ich würde nie die Waffe gegen einen Menschen halten. Grundsätzlich nicht, mache ich nicht. Da haben Sie Ärger bekommen? Nö, warum? Na gut, zuletzt habe ich dem Lehrer gesagt: Sie sprechen vom kapitalistischen Klassenfeind, aber tragen ein Hemd vom Kapitalisten. Was hat er gesagt? Nichts. Ich wurde für etliche Zeit vom Staatsbürgerkundeunterricht befreit. Wie jetzt, Sie wurden von der Staatsbürgerkunde ausgeschlossen? Ja. Ernsthaft? Ja. Ich hatte kein Problem damit. Natürlich nicht. Und sonst war nichts? Nein, gar nichts. Auch später auf dem Schacht, ich sage immer, was ich meine. Es heißt doch, man konnte nichts sagen. Es war so und so. Nach der Armee sollte ich in die Kampfgruppe gehen. Ich sage: freiwillig nie. Du musst, als sozialistischer Leiter, das geht doch nicht. Ich sage: Du kannst meinen Job kriegen, wenn du ihn haben willst, aber ich geh’ in keine Kampfgruppe, und ich geh’ auch in keine Partei. Ach, waren Sie auch nicht? Nein, warum? Ja, ist nur eine Frage. Warum sollte ich? Ihre Arbeit haben Sie behalten? Richtig. Ich habe meine Arbeit gemacht, ich habe meinen Schichtleiter weitergemacht, jahrelang. Habe mich für die Belange meiner Werktätigen eingesetzt. Selbstverständlich, das war meine Aufgabe. Also, nicht nur für mich zu sorgen, ich hatte die Verantwortung für meine zehn Schäfchen. Wenn Sie an den Herbst 1989 denken, woran erinnern Sie sich dann? An die Montagsdemos bei uns in Kirchworbis. Viele stellten aus Sympathie Kerzen vors Fenster. Das sogenannte Friedenslicht. Wenn man am späten Nachmittag hier in unserer Gegend rumgefahren ist, standen überall Lichter in den Fenstern. Ein Zeichen. Ja, für Veränderungen im Land. Sind Sie gläubig? Ich bin katholisch, meine Familie, meine Kinder sind so erzogen. War das kompliziert zum Beispiel wegen der Jugendweihe? Nein. Wer der Meinung war, er möchte Jugendweihe machen, der konnte das machen. Aber Sie nicht? Ich nicht. Ich habe dem Klassenlehrer gesagt: Wir sind katholisch, der Junge geht nicht zur Jugendweihe. Also gut. Paar Tage später im Betrieb klingelt das Telefon: Willi, komm doch mal hoch zum Chef. Du, ich hab’ hier einen Zettel, Dein Junior geht nicht zur Jugendweihe? Ich sage: Ja, der geht nicht zur Jugendweihe. Ja, ich soll dich nur fragen, warum und wieso? Ganz einfach, weil wir katholisch sind. Und damit hatte sich das. Sie hatten keine Nachteile? Nein, überhaupt nicht. Was haben Sie von der Wende erwartet? Dass es friedlich bleibt. Was dachten Sie, wie es weitergeht? Erst mal sind wir rüber in den Westen, nach dem ersten Ansturm. In Duderstadt haben wir das Begrüßungsgeld geholt für die Familie, sind durch das Städtchen, haben uns viel Buntes angeguckt. Wir wussten nicht, wie es nun weitergeht, einheitliches Deutschland oder nicht, und wir können trotzdem hin- und herfahren, das wusste keiner. Und da habe ich mir, muss ich ganz ehrlich sagen, keinen Kopf drum gemacht. Es hätte auch so bleiben können. Für Sie war es o. k., wie es war? Richtig. Wir hatten ja noch Arbeit. Der Kalischacht produzierte. Wann haben Sie gemerkt, dass es den Leuten hier an den Kragen geht? 1992. Da hörte man von dem Zusammenschluss der Produktionsstätten Ost mit West. Erst hinter vorgehaltener Hand. Dann kamen unsere lieben Brüder und Schwestern aus den alten Bundesländern zu uns und haben unsere Produktionsstätten begutachtet, haben geguckt, wie wir in der Grube produziert haben, wie die Fabrik produziert hat, wie wir verladen haben und, und, und. Die waren von Kali Kassel? Richtig, unter anderem. Und das war vielleicht, sage ich heute, das, was man falsch gemacht hat: Man hätte ihnen nicht alles sagen und zeigen dürfen … Aber wir waren ja gutgläubig. Wir haben gedacht, die wollen uns nichts Böses, sondern ein vernünftiges Miteinander. Die kochen ihr Salz im Westen, und wir kochen unser Salz im Osten. Und derweil kochten die ihr eigenes Süppchen. Richtig. Die haben sich für alles interessiert. Sind Sie und Ihre Kollegen nicht mal stutzig geworden? Wir haben nie daran gedacht, dass mit dem Zusammenschluss der ganzen Kalibetriebe, mit dem Abkauf der Technik und Lagerstätten, dass man dann sagt: Wir können nur soviel auf dem Weltmarkt absetzen – also Aus mit Kali Ost. Das ist ein altes Spiel: Eene, meene Maus, und du bist raus. Genau so. Wir waren ganz einfach blauäugig. Wir haben ja nie daran gedacht, dass man uns aus Konkurrenz und politischen Gründen sterben lässt. Da haben wir nie dran geglaubt, an so was. Wir waren immer guter Hoffnung, weil es ja hieß, wir haben für so lange Zeit noch Kalisalz in der Grube. Bischofferode musste sterben für Profit und Politik. Wann wurden Schacht, Technik und Lagerstätten verkloppt? Verscherbelt, muss man sagen. Das war dann 1992. Das ging schnell. Ihre christliche Landesregierung half den neuen Eigentümern dabei? Richtig. Der Fusionsvertrag ist bis heute nicht komplett bekannt? Richtig. Da gibt es noch unbekannte und geheime Klauseln. Ihnen geht es jetzt darum, dass diese Geschichte so aufgeklärt wird wie alte Kriminalfälle von früher. »Aktenzeichen XY – Täter gesucht«? Richtig. Die Kalikumpel wollen wenigstens die Namen der Täter wissen? Richtig, mehr geht ja nicht. Bestrafung ist wahrscheinlich heute nicht möglich. Bestimmt gibt es sogar Gesetze, die die Strafe verhindern. Haben Sie eine Vermutung, worum es geht? Ich vermute, es geht um viel, viel Geld. Ich glaube, die Namen der beteiligten Politiker sollen nicht bekannt werden. Die ganze Geschichte wäre auch schon im Sumpf untergegangen, aber wir haben mit der Linken im Erfurter Landtag die Frage Fusionsvertrag wieder aufgerührt. Wir lassen nicht locker. Darin haben die Kalikumpel ja Übung: 1993 fing es an mit Fusionsvertrag, Ankündigung der Stillegung der Grube. Was passierte daraufhin im Betrieb? Wir sind erst mal ruhig geblieben, haben uns kundig gemacht und klar gesagt: Wir wollen weitermachen. Wir haben Lagerstätten, wir haben die technischen Voraussetzungen, wir haben gute Kunden. Frankreich zum Beispiel war ein sehr guter, regelmäßiger Kunde, der sich auf die Produktion von Bischofferode eingeschossen hatte. Ihre tatsächliche Lage war aussichtsreich? Richtig. Dagegen hat man dann Propaganda gemacht und wollte uns einreden, dass wir nicht konkurrenzfähig sind. Kanada überschwemme den Markt, sagten die, und da sei das alles viel billiger, bei euch sei die Produktion zu teuer. Oder Russland hätte Billigproduktion, weil dort die Löhne noch niedriger sind als bei uns, und der Marktpreis würde tief fallen. Was haben wir in den letzten Jahren erfahren? Der Marktpreis von Kali auf dem Weltmarkt ist gestiegen. Alles nur Schwindel. Da kam uns der Gedanke, dass wir unseren Schacht besetzen. Dann kamen Politiker, und wir diskutierten, aber umsonst. Also haben wir die Grube besetzt und keinen der netten Menschen von der anderen Seite reingelassen. Das war im Sommer 1993. Das hat funktioniert? Ja. Mitunter hat man uns politischen Ungehorsam vorgeworfen. Aber wir haben weiter unsere Arbeit gemacht und produziert, soweit das möglich war. Haben friedlich unseren Arbeitskampf geführt mit Demonstrationen in Sondershausen, Erfurt, Berlin, Künstler und Politiker waren auch dabei. Auch hier in Bischofferode fanden viele Aktionen statt mit Tausenden Leuten, die uns unterstützten. Wie kam es zu dem Hungerstreik der Kumpel, wissen Sie das? Ja, ich gehörte zum Sprecherrat der Kumpel. Wir waren sieben Mann und haben gesagt, alle Maßnahmen und Aktivitäten hätten nicht gefruchtet, nicht in der Landesregierung und nicht bei der Treuhand. Was machen wir nun? Wie erreichen wir mehr Aufmerksamkeit? Und so kamen wir auf den Gedanken mit dem Hungerstreik. Nun mussten wir den Vorschlag erst mal der Belegschaft rüberbringen. Hin zum Schichtwechsel, die Belegschaft informiert: Wer ist dafür? Wer ist dagegen? Jawoll, machen wir. Dann sind wir nach Hause gefahren und haben mit unseren Familien gesprochen. Sind Sie denn auch mal mit Ihrem Gott zu Rate gegangen? Ja, in dem Sinne, dass wir doch Gottgefälliges tun, wenn wir Gutes tun für uns, für die Region, für unsere Familien. Denn es waren ja schon einige Betriebe, die zugemacht hatten, wo es also viele Arbeitslose gab. Wo sollten wir denn dann noch hin, wenn noch mehr kaputtgeht? Ja, mit sich selber hadern ist ganz schön schwierig gewesen … Der Pfarrer war auch hier? Die waren vor Ort. Wir haben hier auch Messen gehalten. Am Füllort, bevor wir in die Grube fuhren, und auch hier draußen. Politiker waren auch vor Ort mitunter. Bernhard Vogel, der damalige Ministerpräsident ebenfalls? Ja, der war hier und hat zur Belegschaft gesprochen. Zu guter Letzt ist er plötzlich aufgesprungen, hat ein rotes Gesicht bekommen und zu uns gerufen: Bin ich denn schuld an vierzig Jahren DDR? Da drüben in dem Gebäude war das. Was hat er gemeint? Dass wir hier nur maroden Mist haben aus 40 Jahren DDR. War Ihr Betrieb marode? Nein. Auf keinen Fall. Das war der Moment, wo wir ihn wirklich, krass gesagt, mit seinen Aussagen schon in die Enge getrieben hatten. Er wusste nicht mehr, was er uns sagen soll. Das letzte Argument, die DDR ist schuld? Bin ich denn schuld an vierzig Jahren, hat er gesagt, da drüben in diesem Raum, wo jetzt die Tischlerei drin ist. Wissen Sie noch, wann der Hungerstreik begann? Im Juli, ich glaube, am 7. Juli. Waren Sie von Anfang an dabei? Ja. Wie viele waren es? Sieben. Später auch mal zwanzig Kumpel. Sie hatten Ärzte dabei. Die Amtsärztin, Gott sei Dank, hat uns wirklich unterstützt, neben ihrer täglichen offiziellen Arbeit, und dann war eben die Vereinbarung, wenn sie einschätzt, dieser Kollege kann nicht mehr körperlich, dann hört er auf. Irgendwann baut der Körper ab. Man friert nur noch, man fängt an zu zittern, der Akku ist leer, ganz einfach. Wie lange haben Sie durchgehalten? Vierzehn Tage. Da kam dann unsere Ärztin und sagte: Das geht nicht mehr. Haben Sie nicht irgendwann mal gedacht, das alles hat keinen Sinn? Manchmal geht der Mut. Aber er ist immer wiedergekommen. Wir wollten unseren Schacht behalten. Wir wollten unsere Arbeit behalten. Wir wollten unser Leben behalten. Das haben wir bis Dezember 1993 versucht. Und dann? Dann haben wir einen Schlag in den Nacken gekriegt. Was war das? Das war bitterlich. Es war am Heiligabend. Alle kamen noch mal zusammen. Dann hat man uns gesagt, dass alle Mühen umsonst waren und es in Bischofferode keine Produktion mehr geben wird – ohne Wenn und Aber. Und wenn wir dagegen verstoßen, dann verstoßen wir gegen Gesetze, und das geht nicht – hier wäre ja nun ein Rechtsstaat. Und weiter? Vielen kamen die Tränen. Dann sind wir nach Haus gegangen. Es war ja Weihnachten.
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